"Wusten Sie schon, ..." ein Brief an den Bürgermeister

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, auf der Homepage der Gemeinde fragten Sie unter anderem: "Wussten Sie schon, dass durch die Staustufen der Agger im Gemeindegebiet umweltfreundlicher Strom für 3000 Haushalte produziert wird?" Als Wassernetz NRW Flussgebietskoordinator für die Agger stelle ich in Frage, dass es sich hier um umweltfreundlichen Strom handelt und begründe dies mit einer Reihe von Gegenfragen, - die belegen, dass es sich um keinen umweltfreundlichen Strom handelt - die nahe legen, die kleine Wasserkraft an der Agger zurückzubauen - die die Vision einer frei fließenden Agger mit zurückgewonnnen Auen begründen

22.02.21 –

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, auf der Homepage der Gemeinde fragten Sie unter anderem:


"Wussten Sie schon, dass durch die Staustufen der Agger im Gemeindegebiet
umweltfreundlicher Strom für 3000 Haushalte produziert wird?"

Als Wassernetz NRW Flussgebietskoordinator für die Agger stelle ich in Frage, dass es sich
hier um umweltfreundlichen Strom handelt und begründe dies mit einer Reihe von
Gegenfragen,
- die belegen, dass es sich um keinen umweltfreundlichen Strom handelt
- die nahe legen, die kleine Wasserkraft an der Agger zurückzubauen
- die die Vision einer frei fließenden Agger mit zurückgewonnnen Auen begründen

1. Wussten Sie schon, dass das Umweltministerium in NRW 2015 bei der Verabschiedung
des Bewirtschaftungsplanes für die Fließgewässer NRWs die problematische
Umweltverträglichkeit der Stromproduktion durch Wasserkraft festgestellt hat?
"Zahlreiche Querbauwerke wie Stauwehre, Sohlschwellen oder auch Wasserkraftanlagen
führen dazu, dass anstelle der ursprünglichen Fließgewässerhabitate eine Kette von langsam
durchflossenen Rückstaubereiche entsteht, die keinen Lebensraum für die in den
Fließgewässern heimischen Tiere und Pflanzen mehr bieten. Hinzu kommen in diesen
strömungsarmen Bereichen oft nährstoffbedingte Eutrophierungserscheinungen und
Temperaturerhöhungen, die sich auch auf die unterhalb gelegenen Gewässerstrecken negativ
auswirken. Für Fische und andere Tiere, die sich nur innerhalb des Wassers fortbewegen
können, stellen Querbauwerke oft unüberwindbare Hindernisse dar.
Das generelle Bewirtschaftungsziel, den guten ökologischen Zustand bzw. das gute
ökologische Potential bis 2015 zu erreichen, ist somit eng an die Verbesserung der
Gewässerstruktur und die Durchgängigkeit geknüpft."

2. Wussten Sie schon, dass deshalb die EU-Kommission im Mai 2020 in ihrer EUBiodiversitätsstrategie
für 2030 zur Wiederherstellung der Süßwasserökosysteme
aufgerufen hat ?
"Um die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen, müssen größere Anstrengungen
unternommen werden, damit die Süßwasserökosysteme und die natürlichen Funktionen der
Flüsse wiederhergestellt werden. Dies kann durch die Beseitigung oder Anpassung von
Barrieren erreicht werden, die die Fischwanderung verhindern, und durch die Verbesserung
des Wasser- und Sedimentflusses. Um dies zu erreichen, werden bis 2030 mindestens 25000
Flusskilometer wieder in frei fließende Flüsse umgewandelt, indem in erster Linie nicht mehr
in Betrieb befindliche Barrieren beseitigt und Überschwemmungsflächen und Feuchtgebiete
wiederhergestellt werden."

3. Wussten Sie schon, dass die EU-Kommission die Wiederherstellung von
Süßwasserökosystemen unterstützt?
"2021 wird die Kommission die Mitgliedstaaten im Einvernehmen mit den zuständigen
Behörden bei der Ermittlung von Standorten und der Mobilisierung von Finanzmitteln
technisch beraten und unterstützen."

4. Wussten Sie schon, dass die EU-Kommission generell den Appell des Planungs- und
Umweltausschusses vom 27.10.2020 an die Bezirks- und Landesregierung unterstützt, dass
"das Lachshabitat für den Lachs im alten Aggerbett zwischen Stau Ehreshoven I und
Ehreshoven II durch eine zeitnah realisierbare Mindestwasserführung in seiner Funktion
gesichert wird" ?

5. Wussten Sie schon, dass sich das Bundesamt für Naturschutz (BfN) im letzten Jahr
darüber ausgelassen hat (Skript 561 S.32), dass die Energiewende nicht mit dem
untauglichen Mittel der kleinen Wasserkraft vorangebracht werden kann?
"In seinerGrundlagenschrift zur Wasserwirtschaft in Deutschland trifft das
Bundesministerium fürUmwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit die Aussage, dass
nur die 406 Wasserkraftanlagen mit einer Ausbauleistung ≥ 1 MW für den Beitrag der
Wasserkraftnutzung zum Erreichen des Ausbauziels für die erneuerbaren Energien
maßgeblich sind (Jekel et al. 2014: 122). Dem entsprechend ist zu prüfen, in wie weit die rund
7.300 kleineren Wasserkraftanlagen in Deutschland einen signifikanten Beitrag zur CO2-
Einsparung und zur Energiewende für sich geltend machen können. Bei einem fehlenden
übergeordneten gesellschaftlichen Interesse, wäre auch die Basis für das Töten von Fischen
an Wasserkraftanlagen < 1 MW in Frage zu stellen. Bei strikter Anwendung des TSchG wären
daher kleine WKA ohne nachgewiesene funktionstüchtige Fischschutzanlagen ggf. zu
verbieten."

6. Wussten Sie schon, dass die Stromproduktion aus Wasserkraft in NRW 0,4 % des
Stromverbrauchs ausmacht, davon 40% an Talsperren wie der Aggertalsperre, was
unumstritten ist und hauptsächlich von den 41 Anlagen mit einer installierten Leistung von >
1MW erzeugt wird und der Anteil der Wasserkraft an den regenerativen Energien durch den
Aufschwung der Photovoltaik und Windenergie auf 2,36% (Energieagentur NRW) in 2019
gesunken ist und immer weiter sinkt?

7. Wussten sie schon, dass der Aggerverband 2016 für eine "umweltfreundliche
Stromproduktion" eine Erlaubnis bekommen hat, in der festgehalten ist, dass die Fische,
falls sie es überhaupt schaffen, die 200m entfernte Fischaufstiegsanlafge zu überwinden (ein
Monitoring wurde nicht verlangt), in den Turbinenuntergraben der Wasserkraftanlage
geraten und dort gequält werden? Inwieweit technische Nachbesserungen wir Fischscheuch-
Anlagen diese Qualen verhindern werden, bleibt bis zur verlangten Fertigstellung der Anlage
in 2022 fraglich:
"Unstreitig ist, dass aufwanderwillige Fische aus der Aggerstrecke unterhalb der
Wasserkraftanlage bei Aufwärtswanderung lockströmungsbedingt in den
Turbinenuntergraben einwandern. Die Suchbewegung der zumeist potamodromen Arten
wird die Fische in ihrer Vitalität schwächen, sicherlich die Fortpflanzungsprodukte negativ
beeinträchtigen und zu einer Zunahme an Sterblichkeit bzw. Abnahme eines
Reproduktionserfolges führen (ökologische Fitness). Sollten die aufwandernden Fische den
Weg ins restwasserführende Mutterbett hin zum Fischweg finden, sind die Tiere hier
weiterhin suboptimalen Bedingungen ausgesetzt, die ihre Fitness weiterhin schwächen und
die Zunahme der Sterblichkeit zur Folge haben." (aus der Erlaubnis)

8. Wussten sie schon, dass durch die Wasserkraftanlage Osberghausen, die jahrelang still
stand und 2016 eine neue Erlaubnis bekommen hat aber immer noch keinen Strom
produziert, die Möglichkeit eines frei fließenden Flusses im Sinne der EUBiodiversitätsstrategie
von der Agger über Wiehlmünden die Wiehl hinauf bis zum Stau
Bieberstein in der Nähe der Wiehltalsperre verhindert wird?

9. Wussten Sie schon, dass die meterdicke Verschlammung der Stauanlagen eine Belastung
für die Agger darstellt und wenn die Wehre geöffnet werden müssen, eine verschlammte
Agger flussabwärts fließt, wie gerade bei der Öffnung des Wehrs Osberghausen beobachtet
werden konnte?

10. Wussten Sie schon, dass ein großer Teil der CO2 Ersparnis an den Engelskirchener
Wasserkraftanlagen durch das gefährliche klimaschädliche Methangas, das sich in den
Stauanlagen bildet, "aufgefressen" wird?

11. Wussten Sie schon, dass die Jahresarbeit der Engelskirchener Anlagen 2015 laut der
Potentialstudie Wasserkraft NRW 7795 MWh/a betrug und damit durch ein bis zwei
Windkraftanlagen ersetzt werden kann?

12. Wussten Sie schon, dass zwischenzeitlich alle sechs Wasserkraftanlagen in Engelskirchen
der Aggerkraftwerke GmbH & Co.KG gehören, nachdem die AggerEnergie nach einer
Risikoprüfung, zuletzt bei der im letzten Jahr zum Verkauf stehenden WKA Haus Ley, aus
guten Gründen vom Kauf der Anlagen Abstand genommen hat?

13. Wussten Sie schon, dass die Anlagenbetreiber der Engelskirchener Stauanlagen 2013
aufgefordert wurden, bis Ende 2016 sogenannte vertiefte Überprüfungen nach DIN 19700
der Bezirksregierung Köln vorzulegen hatten mit der Zielsetzung, nach Maßgabe Berechnung
von Bemessungshochwasserereignissen (BHQ) und der Überprüfung der
Erdbebensicherheit, ein Versagen der Anlagen auszuschließen?

14. Wussten Sie schon, dass bei allen Anlagen in Engelskirchen laut den aktuellsten
Überwachungsberichten der Bezirksregierung Köln keine Abschlussberichte der vertieften
Überprüfung vorliegen, sie dementsprechend als Inspektionsergebnis alle in die
zweitschlechteste Kategorie "erhebliche Mängel" eingeordnet wurden, gleichfalls aber die
Behauptung aufgestellt wurde "derzeit liegt keine aktuelle Beeinträchtigung der Sicherheit
vor"? Wann hört "derzeit" auf? Bis zum nächsten Hochwasser- oder Erdbebenereignis?

15. Wussten Sie schon, dass, nachdem sich die Aggerkraftwerke GmbH & Co.KG gegen die
Verfügung der Bezirksregierung Köln, das Wasser im Stau Ohl-Grünscheid wegen des
maroden Metall-Wehrs abzulassen und dementsprechender Gefahr im Verzug, gewehrt
hatte, zur Niederlegung des Staus durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln 2019
gezwungen werden musste?

16. Wussten Sie schon,dass durch die Niederlegung des Staus Ohl-Grünscheid 2019 und
dem anschließenden Winterhochwasser eine herrliche Flusslandschaft, wie man sie sonst in
Engelskirchen nicht sieht, gebildet hat und der gute Zustand des Gewässers zwar nicht durch
Maßnahmen der für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie verantwortlichen
Bezirksregierung Köln, sondern durch ein marodes Wehr erreicht worden ist?

17. Wussten Sie schon,dass durch die angekündigte Reparatur des Stahlwehrs und den
anschließenden Wiederaufstau die herrliche Flusslandschaft gefährdet ist und die
Landesregierung bislang nicht zur Hilfe gekommen ist?

18. Wussten Sie schon,dass für die Landesregierung NRW in ihrer Biodiverstätsstrategie von
2015 "ein dringender Handlungsbedarf für den Schutz und Erhalt naturnaher Auen sowie
die Wiederherstellung veränderter Auenbereiche" besteht?
"Die Wiederanbindung der Auen an die Flüsse und Bäche und ein auentypischer
Wasserhaushalt sind unabdingbare Notwendigkeiten für eine naturraumtypische biologische
Vielfalt."

19. Wussten Sie schon, dass durch der Rückbau der Engelskirchener Wasserkraftanlagen auf
der Fläche der niedergelegte Stauanlagen umfangreiche Auenbereiche wiederhergestellt
werden können und eine naturraumtypische biologische Vielfalt entstehen kann?