Lieber Friedrich!

Wie schön, dass du geboren bist! Vor ziemlich genau 200 Jahren, am 28. November 1820. Zwar nicht in Engelskirchen, das witzigerweise deinen Namen trägt, sondern am anderen Ende des Bergischen Landes, in Barmen. Dort bist du als erster von neun Kindern in einer wohlbehüteten Familie zur Welt gekommen. Dein Vater war ein frommer Protestant und erfolgreicher Unternehmer in der Textilbranche. Neben dem Hauptsitz im heutigen Wuppertal hat er bald noch eine Fabrik gegründet, hier bei uns in Engelskirchen. Und weil er so fromm war, hat er auch gleich noch die evangelische Kirche neben der Fabrik gestiftet. Er liebte die „fleißige Agger“, wie er sich gern ausdrückte. Sie trieb seine Fabrik an. Fleißig waren aber vor allem die Engelskirchener, die dort mehr als zehn Stunden am Tag und sechs Tage die Woche malochten. Für einen „Lohn“, von dem sie kaum Essen für die Kinder kaufen konnten.

27.11.20 –

Wie schön, dass du geboren bist! Vor ziemlich genau 200 Jahren, am 28. November 1820. Zwar nicht in Engelskirchen, das witzigerweise deinen Namen trägt, sondern am anderen Ende des Bergischen Landes, in Barmen. Dort bist du als erster von neun Kindern in einer wohlbehüteten Familie zur Welt gekommen.

Dein Vater war ein frommer Protestant und erfolgreicher Unternehmer in der Textilbranche. Neben dem Hauptsitz im heutigen Wuppertal hat er bald noch eine Fabrik gegründet, hier bei uns in Engelskirchen. Und weil er so fromm war, hat er auch gleich noch die evangelische Kirche neben der Fabrik gestiftet. Er liebte die „fleißige Agger“, wie er sich gern ausdrückte. Sie trieb seine Fabrik an. Fleißig waren aber vor allem die Engelskirchener, die dort mehr als zehn Stunden am Tag und sechs Tage die Woche malochten. Für einen „Lohn“, von dem sie kaum Essen für die Kinder kaufen konnten. Du kennst die Fabrik, du warst ja auch ein paar Mal hier. Sie steht noch und ist heute viel schöner als damals, da residiert jetzt unser Bürgermeister. Baumwolle wird hier schon lange nicht mehr gesponnen; das machen inzwischen die „fleißigen Frauen von Bangladesh“, die mit ihren „Löhnen“ ihre Kinder ungefähr genauso gut ernähren können wie die Engelskirchenerinnen vor 200 Jahren.

Dein Vater hat schnell erkannt, dass du ein schlaues Bürschchen warst. Sprachen lerntest du im Handumdrehen, und so schickte er dich mit 22 Jahren nach England, wo Eure Firma einen Handelsposten besaß. Dort wurde die Baumwolle eingekauft, die dann in Engelskirchen versponnen wurde. „Die Flausen, die der Junge im Kopf hat, werden ihm da schon vergehen“, dachte dein Vater. Aber er irrte.

Auf dem Weg nach Manchester fuhr deine Kutsche nämlich über Köln. Dort trafst du den Mann, der dein Leben umkrempeln würde wie kein anderer. Er war Redakteur bei der Rheinischen Zeitung, dem heutigen Kölner Stadtanzeiger, und sein Name löst immer noch heftige Gefühle auf der ganzen Welt aus: Karl Marx.

Als du nach Manchester kamst, sahst du vor allem rauchende Schlote, kaputte Menschen und verrußte, verfallene Arbeitersiedlungen. Und du zogst deine Schlüsse daraus. Dein Einkäufer-Job im Kontor gab dir ja einen guten Überblick. Wie die Wolle in Amerika von Sklaven geerntet wurde. Wie die Villen der Sklavenbesitzer aussahen. Was die Händler so verdienten und die Schiffsbetreiber. Und wie es den Matrosen auf den Segelschiffen ging. Mit deinem raschen Verstand hast du schneller als andere begriffen, was gerade los war zu deiner Zeit. Dass da ungeheure Veränderungen vor sich gingen, dass wenige unfassbar reich wurden, während die meisten schlimmer als die Hunde lebten. Du sahst die schreiende Ungerechtigkeit deiner Zeit. Du sahst das riesige, furchterregende Schwungrad, das alles antrieb und sich immer schneller drehte. Du und dein Freund Marx, ihr gabt ihm einen Namen: Kapitalismus.

Was uns Grünen immer an dir aufgefallen ist: Du hast das Schwungrad besser verstanden als andere. Mit deinem Scharfsinn hast du alles gnadenlos genau gesehen. Und doch hast du immer davon profitiert. Du warst ja in der Firmenleitung und bist immer Kapitalist geblieben. Wie macht man das eigentlich? Den Kapitalismus kritisieren und selbst davon profitieren? Wird man nicht schizophren, wenn man gleichzeitig Kapitalist und Revolutionär ist? 

Aber wir haben keinen Grund uns über dich zu stellen. Das Schwungrad läuft noch immer auf Hochtouren und selbst dir würde es schwindelig, wenn du wüsstest, welche virtuellen Beträge so jede Sekunde um die Erde flitzen. Und wie du profitieren wir davon. Engelskirchen ist ja heute keine Arme-Leute-Gegend mehr. Die Hungerleider leben am anderen Ende des Schwungrades, in Tansania oder auf den Philippinen. Während uns das Rad nach oben trägt.

Vielleicht ist es das, was wir von dir lernen können: dass wir uns nicht einlullen lassen von den Wohltaten des Kapitalismus, auch wenn wir von ihnen profitieren. Sondern scharfsinnig und unbestechlich das Ganze sehen: Die Wohltaten und die verheerenden Zerstörungen. Unsere schöne Badereise auf die Seychellen und den CO2-Abdruck davon. (Sorry, du weißt noch nicht was das ist, aber es würde jetzt zu weit führen, dir das auch noch zu erklären.)

Du wolltest damals das Schwungrad in die Luft sprengen. Du wolltest den Kapitalismus durch eine Revolution überwinden. Inzwischen wurde das ein paar Mal versucht. Wir müssen dir leider sagen: Die Ergebnisse waren nicht so überzeugend. Wir sind deswegen 200 Jahre nach deiner Geburt ein bisschen vorsichtiger als du: Wir wollen das Schwungrad zähmen, manche von uns glauben sogar, dass wir seinen Schwung nutzen können, um die Elenden aus dem Elend zu ziehen.

Du warst ja für deine Zeit unglaublich hellsichtig: Du warst sogar der erste Philosoph deiner Zeit, der sich um die Natur Gedanken gemacht hat. Du hast behauptet: Die Natur verändert sich ständig – und manchmal auch sprunghaft und widersprüchlich. Das nanntest du „Dialektik“. Heute werden wir Zeuge, wie sich die Natur rasend schnell verändert – und zwar als Folge des Kapitalismus. Die Natur wird zur Produktion eingesetzt – in einem Ausmaß, das du dir nicht vorstellen kannst. Die Folge: Tierarten sterben aus. Urwald weicht Plantagen für Biodiesel. Die Artenvielfalt nimmt ab. Die Atmosphäre wird zur Müllhalde. Die Erde wird heiß.

Auch wenn wir manchmal davon profitieren: wir wollen nicht aufhören, gegen diese Zerstörung zu kämpfen. Das haben wir mit dir gemeinsam.

Deine Engelskirchener Grünen im Jahr 2020

(Martin Bach)

Links & Termine

23.06.2022, 19:00 Uhr

 

Ortsversammlung der Grünen
in Engelskirchen

 Präsenz- oder
 Online-Veranstaltung
(Details siehe hier)

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